Geschichte lebendig

Stolpersteine

1. Einleitung

Der Nationalsozialismus ist eines der schlimmsten Kapitel in der deutschen Geschichte. Für die Schülerinnen und Schüler ist es schwierig die Zeit des Nationalsozialismus nachzuvollziehen. Sie sind zu einer anderen Zeit und unter anderen Vorrausetzungen geboren worden. Somit ist eine intensive Auseinandersetzung mit den Ursachen des Nationalsozialismus, dem NS Staat, dem alltäglichen Leben in der nationalsozialistischen Diktatur und der Ausgrenzung bis hin zum systematischen Mord von Menschen notwendig. Bei der Bearbeitung der einzelnen Themen entwickeln die Schülerinnen und Schülern immer wieder folgende Fragen:

    Wie fand die nationalsozialistische Herrschaft in Schwerte statt?
Sind in Schwerte Juden getötet worden?

Gerade diese Fragen verdeutlichen, dass sich die Schülerinnen und Schüler intensiv mit Geschichte vor Ort befassen wollen. Sie interessieren sich besonders dafür, was in der damaligen Zeit in ihrer eigenen Stadt passiert ist. Gerade dieses Interesse an der Geschichte vor Ort bindet die Vergangenheitsbewältigung in vielfältigster Weise in das persönliche und das öffentliche Leben der Schülerinnen und Schüler ein[1].

Vor diesem Hintergrund ist ein Konzept zum Thema „Stolpersteine in Schwerte“ entwickelt worden, welches den Schülerinnen und Schüler eine intensive Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit der eigenen Stadt ermöglicht. Die Vergangenheit wird anhand des Schicksals der Juden vor Ort im Unterricht erforscht. Ziel des Konzeptes ist es, den Schülerinnen und Schülern die Vergangenheit der eigenen regionalen Bezugsgemeinschaft näher zu bringen. Die Auseinandersetzung erfolgt durch die Unterrichtsmethode forschendes Lernen. Die Schülerinnen und Schüler werden eigenständig über das Schicksal der Juden forschen und die Fähigkeit entwickeln eigene Überlegungen zu erstellen und in eigener Verantwortung ihre Denkergebnisse zu präsentieren.[2]

2. Projekt Stolpersteine

Das Projekt Stolperstein ist von dem Künstler Gunter Demnig im Jahre 1995 in Köln ins Leben gerufen worden. Demnig erinnert durch 10x10x10 cm große Steine an die jüdischen Opfer im Nationalsozialismus. Die einzelnen Opfer werden durch eine Messingplatte auf den Steinen dokumentiert. Auf jedem Stein wird ein Opfer mit Namen, Geburtsdatum und seiner Lebensgeschichte versehen.

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Abb. : Stolpersteine in der Stadt Schwerte

(Fotografiert von: Konrad, 2011)

Die Steine werden im Wohnort in den Bürgersteinen eingelassen und zwar direkt vor dem Haus, in dem die Juden vor ihrer Deportation bzw. Vertreibung gewohnt haben. Diese werden mittlerweile in ganz Deutschland verlegt. Die Verlegung der Stolpersteine findet allein in 280 Orten in Deutschland statt.[3] In Schwerte liegen im Moment 52 Steine.[4]

In Deutschland wächst ihre Anzahl täglich. Seit geraumer Zeit wird das Projekt auch in anderen Ländern wie Österreich, Niederlande und Ungarn durchgeführt. Die Stolpersteine sind ein Denkmal für die Juden. Einzelne Personen, Vereine, Initiativen oder Schulklassen finanzieren das Denkmal, indem sie eine Partnerschaft für den Stein übernehmen.[5]

Im Rahmen des Projektes sollte auch ein Blick auf den Künstler gelegt werden. Welche Motivation hat ihn bewegt, so ein Projekt zu entwickeln und durchzuführen? Die Strebsamkeit liegt in der Form des Gedenkens. Die Geschichte der Juden wird für die einzelnen Bürger der Stadt konkret, da ihnen durch die Stolpersteine bewusst wird, dass der Holocaust in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft stattgefunden hat, eventuell auf einer Straße, die man schon lange kennt oder vor einem Haus, in dem man lebt. Stolpersteine bieten die Möglichkeit, individuelle und persönliche Gedanken und Gefühle hervorzurufen und dadurch den Juden zu gedenken. Dies sind Formen der Erinnerungskultur, die für uns Menschen wichtig sind, um sich intensiv mit der Geschichte auseinander zu setzen. Deshalb ist es erforderlich, dieses in der Öffentlichkeit darzustellen, denn der Umgang mit dem Thema Nationalsozialismus und Juden ist immer noch sensibel, da viele Menschen die Augen vor diesem Thema verschließen.[6]

Für junge Menschen bieten die Stolpersteine eine große Chance die Vergangenheit des Nationalsozialismus zu erfahren. Die Schülerinnen und Schüler nehmen nicht nur das Wissen im Schulbuch wahr, sondern setzen sich intensiv mit dem Schicksal der Juden in der eigenen Stadt auseinander. Bei der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit der Schicksale der Juden wird den Schülerinnen und Schülern bewusst, warum ein Teil der Gesellschaft die Augen vor dem Thema verschließt. Dabei spielen vor allem die Schuld- und Schamgefühle eine Rolle. Die Gesellschaft wird durch das Projekt mit NS- Vergangenheit in der eigenen Stadt konfrontiert. Die Schülerinnen und Schüler können somit die Emotionen viel besser wahrnehmen und die Verbrechen kognitiv verarbeiten.[7]

Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, dass die Schülerinnen und Schüler das Konzept der Stolpersteine so wahrnehmen, wie Gunter Demnig es selbst beschreibt: „Für mich ist es immer noch eine große Erschütterung, jedes Mal, wenn ich Buchstabe für Buchstabe einzeln einschlage. [..] weil ich mir so immer wieder darüber bewusst werde, dass es sich um einen Menschen, einen einzigartigen Menschen handelt, um den es geht. Das waren Kinder, das waren Männer, Frauen, Nachbarn, Schulkameraden, Freundinnen [..] Und bei jedem Namen entsteht so eine Vorstellung in mir. Und dann gehe ich auch an den Ort, in die Straße, vor das Haus. Da rückt es noch einmal näher an einen heran. Es ist Schmerzhaft, den STOLPERSTEIN zu legen, aber es ist auch gut, weil da etwas zurückkehrt [..] Wenigstens die Erinnerung.“[8]

3. Kooperationspartner Stadtarchiv Schwerte

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aus Stadtarchiv Schwerte: StaSCH AK 2007/99 „Meldekarten der jüdischen Einwohner Schwertes“

Als Kooperationspartner unterstützt das Stadtarchiv Schwerte die Realschule am Bohlgarten. Das Stadtarchiv besitzt Verwaltungsakten aus der nationalsozialistischen Zeit. In den Verwaltungsakten befinden sich 122 Einwohnermeldekarten von jüdischen Bürgern. Die Einwohnermeldekarten sind tabellarisch aufgebaut und in Sütterlinschrift verfasst.

Mit Hilfe dieser Einwohnermeldekarten können die Schülerinnen und Schüler über das Schicksal der Juden in Schwerte forschen.

4. Ablauf des Konzeptes

4.1 Erste Unterichtseinheit

In der ersten Unterrichtsstunde werden die Schülerinnen und Schüler zu den einzelnen Stolpersteinen geführt. Die Schülerinnen und Schüler wissen zu Beginn der Stunde nicht, wo sie im Unterricht hingehen. Sie „stolpern“ im Unterrichtsgang so gesehen über die Steine. Ihre Aufgabe besteht darin, sich die Stolpersteine genau anzusehen. Sie sollen erkennen, dass auf den Steinen eine Messingplatte mit Namen der Opfer, dem Geburtsdatum und dem Ort der Deportation dargestellt ist.

4.2 Zweite Unterrichtseinheit

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aus Stadtarchiv Schwerte: StaSCH AK 2007/99 „Meldekarten der jüdischen Einwohner Schwertes“

In der zweiten Untaus Stadtarchiv Schwerte: StaSCH AK 2007/99 „Meldekarten der jüdischen Einwohner Schwertes“errichtseinheit besuchen die Schülerinnen und Schüler das Stadtarchiv Schwerte. Die Schülerinnen und Schüler erhalten die Einwohnermeldekarten:

Der „Kopf“ der Akte bezieht sich auf die die Punkte: „Tag der Anmeldung (künftiger Wohnort), Wohnung in Schwerte und Tag der Abmeldung.“ Darunter werden folgende Punkte aufgeteilt: „Name und Vorname, Stand oder Gewerbe, Geburtsdatum, Geburtsort und Kreis, Religion, ob verheiratet oder verwitwet, Staatsangehörigkeit, Militärverhältnisse, Bemerkung gestorben, abgemeldet usw., Ummeldung (Tag, Straße und Nummer, Name des Quartierwirts).“

Die Schülerinnen und Schüler werden sich zunächst den Punkt „Wohnung in Schwerte“ in der Einwohnermeldekarte anschauen. Für sie ist es wichtig zu erfahren, in welcher Straße der bzw. die jüdischen Mitbürger gewohnt haben. Dabei wird ihnen deutlich, dass Geschichte vor Ort stattfindet. Es kann durchaus sein, dass z.B. eine Schülerin bzw. Schüler in einer Straße wohnt, in der früher Juden gelebt haben. Im weiteren Verlauf werden die Schülerinnen und Schüler zunächst den Namen des Juden erforschen. Es ist wichtig, für sie zu erfahren, dass die Einwohnermeldekarte sich auf eine jüdische Familie bezieht. Dies wird ihnen zudem deutlich, wenn sie unter dem Punkt Religion nachschauen. Dort wird durch „isr“ die Zugehörigkeit zum jüdischen Glauben dokumentiert.

Für das Forschen sind die Punkte „Tag der Abmeldung“ und „Ummeldung“ am bedeutsamsten. Wenn die Schülerinnen und Schüler sich mehrere Einwohnermeldekarten

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aus Stadtarchiv Schwerte: StaSCH AK 2007/99 „Meldekarten der jüdischen Einwohner Schwertes“

ansehen, wird ihnen der Abdruck des Stempels auffallen. Der Stempelabdruck lautet: „Seit….ohne Meldung unbekannt verzogen…….“

Den Schülerinnen und Schülern wird bewusst, dass dieser Abdruck die Unwissenheit verdeutlicht, was mit den Juden geschehen ist und dass sie mit großer Wahrscheinlichkeit im Konzentrationslager gestorben sind. Sie werden auch bei einigen Abdrücken des Stempels gewisse Jahreszahlen entdecken, die markant sind, wie z.B. das Jahr 1943. Des Weiteren können die Schülerinnen und Schüler unter diesem Punkt einzelne Straßennamen erforschen. Diese Straßennamen werden immer wieder als neuer Wohnort (Straße und Nummer) dokumentiert. In den Einwohnermeldekarten von Schwerte wird häufig die Liethstr. 37 aufgeführt. Beim Forschen werden die Schülerinnen und Schüler erfahren, dass in dieser Straße zur nationalsozialistischen Zeit eine Baracke stand. Die Baracke diente als Zwischenstation für die weitere Umsiedlung/Deportation der Juden.

Wenn die Schülerinnen und Schüler sich zudem den Punkt Ummeldung in der Tabelle der Einwohnermeldekarte anschauen, wird ihnen auch auffallen, dass als neuer Wohnort z.B. Ausschwitz oder Oranienburg angegeben ist.

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aus Stadtarchiv Schwerte: StaSCH AK 2007/99 „Meldekarten der jüdischen Einwohner Schwertes“

Die zuvor dargestellten Aspekte können die Schülerinnen und Schüler selbstständig erforschen.

5. Literaturverzeichnis

Demnig, G.:                Stolpersteine, Köln, 2007

Jeismann, K. E.:         Geschichte und Bildung, Paderborn, 2000

Lange, O.:                   Problemlösender Unterricht und selbständiges Arbeiten von Schülern, Oldenburg, 1982

5.1 Quellenverzeichnis

StaSCH AK 2007/99 „Meldekarten der jüdischen Einwohner Schwertes“

[1] Vgl. Jeismann, Karl E.: Geschichte und Bildung, S.9

[2] Vgl. Lang, Otto: Problemlösender Unterricht und selbständiges Arbeiten von Schülern, S. 11.

[3] Vgl. Demnig, Gunther: Stolpersteine, S.4 f.

[4] Stadtarchiv Schwerte AK 2007/99.

[5] Vgl. Demnig, Gunther: Stolpersteine, S.4 f.

[6] Vgl. ebd., S.42 f.

[7] Vgl. ebd., S.52.

[8] Demnig, Gunther: Stolpersteine, S.37.

 

Realschule am Bohlgarten Schwerte